Kontakt
555-555-5555
mymail@mailservice.com

Wozu Sex?

Gorillas sind schneller

Wozu Sex? Das wollte der Buchautor Christian Göldenboog von Biologen wissen. Antwort: Um die Menschheit zu verbessern

Von Joachim Bessing,  Berliner Morgenpost, 7. Mai 2006

Soweit sind wir also schon, soweit hat uns das allseitige Nachdenken über Simplify Your Life, Outsourcing und Downsizing gebracht: "Wozu Sex?" fragt der Titel eines soeben in der Deutschen Verlagsanstalt erschienenen Buches. Kein Roman, auch kein Gedichtband: ein Sachbuch, durchaus fundiert geschrieben. Der Autor, Christian Göldenboog, ist im Hauptberuf Champagnerexperte, war Kugelstoßer und Filmkritiker und betreibt, nach eigenen Worten, "fröhliche Wissenschaft". In der Kombination aus Genußmittel, Kraftsport und Kulturgut ist auch der Sinn von Sex recht zutreffend beschrieben. Wer will da nach dem Zweck des Manövers fragen?

Angesichts unserer Kultur, in der es marktschreierisch um besseren Sex, aufregenden Sex, sexy Kleidung, geile Typen - kurzum den Akt an sich, den Genuß und den Sport geht, gerät es leicht in Vergessenheit, daß dem Spektakel bei allem Genuß auch noch eine Aufgabe zugrunde liegt. Der Genuß daran soll der Anreiz sein, sich fortzupflanzen. Allerdings verwendet man viel Anstrengung darauf, eben dies zu vermeiden. 

Häufig geht es deshalb in "Wozu Sex?" um die Tiere. Schon klar, den Tieren dient Sex vor allem zur Vermehrung. Ob es ihnen auch Spaß macht, weiß man nicht genau. Außerdem stehen Tieren keine Verhütungsmittel zur Verfügung. Daß der 60sekündige Geschlechtsverkehr unter Gorillas (ein Grund, weshalb die Pornoversion von "King Kong" nie gedreht wurde) - oder der zwölfstündige der Beutelmäuse "just for fun" angebahnt würde: schwer vorstellbar, hält man sich die umständlichen und oft auch gewalttätigen Werbungsrituale aus der Tierwelt vor Augen.

Obwohl? Warum es für menschliche Männchen noch immer so umständlich ist, ein Weibchen für das gemeinsame Spaßhaben (westliche Durchschnittsdauer: 4,5 Minuten) herumzukriegen, dafür hält Göldenboog die originelle Formel "Eier sind teuer, Spermien billig" bereit. Wodurch die Tatsache umschrieben wird, daß Frauen innerhalb ihrer fruchtbaren Jahre etwa 400 Eier ausbilden. Männer hingegen verjubeln mit jeder Ejakulation 400 Millionen Samenfäden - und das, wohlgemerkt ohne eingebautes Verfallsdatum; die biologische Uhr des Mannes läuft bis zum Tod. Diese ungerechte Verteilung unter den Geschlechtern ist gut dafür geeignet, die prinzipiellen Schwierigkeiten zwischen Männern und Frauen aufzuklaren: Der Mann ist ein Verschwender, der sich über seinen Nachschub keine Sorgen zu machen braucht. Die Frau verwaltet einen vergleichsweise schmalen Vorrat, sie muß haushalten. Auf die Partnerwahl übertragen bedeutet das: Sie ist wählerisch. Ein, folgt man Göldenboogs unterhaltsamen Ausführungen, in das weibliche Verhaltensmuster eingraviertes Muster, das auch heute noch greift und herrscht. Obwohl es die Antibabymittel gibt und "Sex for fun" ja tatsächlich möglich ist. Vielleicht liegt darin auch der ausbleibende Kinderwunsch vieler Männer heutzutage begründet: Sie werden etwas unwirsch als Zeugungsverweigerer bezeichnet - aber ist es nicht ebenso denkbar, daß es sich darin um eine Waffe im Geschlechterkampf handelt? Das Werben um die Eier mag reizvoll gewesen sein, als die Karriereziele von Frauen noch ausschließlich in "Mutter" bestanden. Nun, da Frauen zu Rivalen auf dem Arbeitsmarkt werden und man - wie in Deutschland - seitens der Familienpolitik erwägt, die Männer zu Teilzeit-Müttern "umzuerziehen", macht der Mann sich rar, er geizt mit seinem Spermienüberfluß - letztendlich: um nun selbst umworben zu werden. 

Zu den aktuellen Debatten um die Kinderlosigkeit junger Europäer, vor allem zu dem Megaphon dieser Debatten, Frank Schirrmachers neuem Panikreißer "Minimum", stellt "Wozu Sex?" eine wohltuende Gegenposition dar: Zur Abwechslung geht es darin nicht um Fruchtbarkeit als Volkes Pflicht; und anders als Schirrmacher verurteilt der Autor auch nicht all jene Frauen, die ein Leben mit Sex, aber ohne Kinder sympathisch finden. Göldenboogs Dimension, die er aus seinen Gesprächen mit renommierten Biologen entwickelt, ist unpolitisch, dafür wissenschaftlich: Nach wie vor bleibt es ein Rätsel, warum wir uns auf derart komplizierte Weise vermehren müssen, weshalb wir dazu einen fremdartig Anderen benötigen anstatt - wie der den Pflanzen abgelauschte Traum vom Klonen geht: uns ohne einander vervielfachen zu können.

Daß die Umständlichkeiten und Probleme der Paarung schon in früherer Zeit für Frustration gesorgt haben, davon zeugen die phantasievollen Versuche, sich Alternativen auszudenken: So entsteht laut Bibel der erste Mensch aus Lehm, der zweite wird aus der Rippe des ersten geschnitzt. Der Grieche Platon erfand den ersten Menschen als rundes Ding mit vier Händen, vier Füßen und zwei Gesichtern, das irgendwann von den Göttern gespalten wurde, damit sich doppelt so viele Menschen auf Erden nützlich machen können. Das regte vielleicht den Schweizer Naturforscher Abraham Trembley im 18. Jahrhundert dazu an, einen Süßwasserpolypen in zwei Teile zu schneiden, worauf daraus prompt zwei gesunde Lebewesen wurden - ähnliches macht der Spaten noch immer mit dem Regenwurm. Wäre unsere Fortpflanzungsmethode tatsächlich so, es gäbe wohl kaum jemanden, der das "for fun" machen wollte!

Sexmüdigkeit nicht direkt, aber der Verzicht auf Kinder hat wahrscheinlich ernstere Konsequenzen, als man zur Zeit glaubt und befürchtet. So zeigt Göldenboog, daß gerade in der Kompliziertheit unserer Fortpflanzungsmethode das Wundermittel besteht, weshalb die Menschheit noch immer nicht ausgestorben ist: Durch die andauernde Kombination von weiblichen und männlichen Erbanlagen werden fehlerhafte Entwicklungen über Generationen korrigiert. Selbst Veränderungen der Umwelt, des Klimas oder neuartige Krankheiten werden bei den evolutionären Kopiervorgängen berücksichtigt. Durch heute eingefrorene Samen und Eier werden sich aber die aktuellen Schwierigkeiten in ferner Zukunft nicht beheben lassen. Dazu braucht es lebendige Fortpflanzer, die solche Beschädigungen am eigenen Leib erfahren, um sie in künftigen Generationen reparieren zu können. 

Angeblich gibt es schon heute einen steigenden Anteil von Menschen, die gegen das HI-Virus immun sind. Menschen von diesem Schlag werden in Zukunft einen großen Vorteil haben. Sie werden sich hemmungslos und ungeschützt umtun können. Ihre Gene setzen sich durch. Aber solche Verbesserung der Menschheit durch Sex funktioniert natürlich nur dann, wenn Kinder dabei herausspringen. Ansonsten bleibt es bei viel Lärm um 4,5 Minuten. Und hinterher darf sich die eine oder der andere tatsächlich fragen: "Wozu?" 


Share by: