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Wozu Sex? 

Der gekränkte Eros wird sich rächen!

Diemut Klärner, Süddeutsche Zeitung, 20.07. 2006 

Und so treibt´s der Wasserfloh einmal so und einmal so: Die geplagte und völlig überforderte Menschheit darf sich dagegen zu Recht fragen: "Wozu gibt es eigentlich Sex?" Christian Göldenboog hat sich in einem bedenkenswerten Buch über Aufwand und Nutzen der Zweigeschlechtlichkeit Gedanken gemacht.

Auch Einzeller tun es, manchmal zumindest. Dabei zeigen sie, dass es beim Sex nicht primär um Fortpflanzung geht. Im Gegenteil - schließlich verschmelzen zunächst einmal zwei Zellen zu einer einzigen. Um sich fleißig zu vermehren, brauchen Einzeller keinen Partner - Zellteilung genügt. Manche Arten von Seeanemonen können sich ebenfalls vervielfältigen, indem sie sich in zwei Hälften teilen. Weit verbreitet ist Fortpflanzung ohne Sex auch im Pflanzenreich. Erdbeeren bilden zum Beispiel lange Ausläufer, aus denen zahlreiche Schößlinge wachsen.

Wirbeltiere vermehren sich zwar nie völlig asexuell, einige Eidechsenarten existieren jedoch ausschließlich in weiblicher Form. Nachkommen entstehen durch so genannte Parthenogenese aus unbefruchteten Eiern. Auf ein Liebesspiel verzichten die Eidechsenweibchen trotzdem nicht - sie inszenieren es mit ihresgleichen. Aus biologischer Sicht hat diese autonome Version der Fortpflanzung zweifellos Vorteile. Die Weibchen können ihren gesamten Genbestand an den Nachwuchs vererben, statt bloß die Hälfte, weil ein Partner die andere Hälfte beisteuert. Außerdem müssen sie, wenn Männchen im Spiel sind, nicht nur Töchter produzieren, sondern auch Söhne. Ganz abgesehen von all den Mühen und Gefahren, die es bei Partnersuche und Paarung in Kauf zu nehmen gilt.

Der gekränkte Eros wird sich rächen!

Warum also kommen Tiere und Pflanzen meist dennoch in zwei Geschlechtern daher? Diese Frage stellen sich Molekularbiologen ebenso wie Populationsgenetiker und Evolutionsforscher. Was sie bislang herausgefunden haben, ist dem Journalisten Christian Göldenboog gut zweihundert Buchseiten wert. Genügend Raum für ein facettenreiches Bild, das auch strittige Aspekte nicht ausspart. In einem Punkt sind sich die Wissenschaftler allerdings einig: Dass die Karten des Genbestands immer wieder neu gemischt werden, ist die Quintessenz von Sexualität. Spezielle Geschlechtszellen sind dazu nicht unbedingt nötig. Bakterien können auch ohne sie sexuell aktiv werden und einen Teil ihrer Gene an entfernte Verwandte weitergeben. So kann zum Beispiel ein harmloser Darmbewohner, der gegen ein bestimmtes Antibiotikum unempfindlich ist, diese Eigenart gefährlichen Parasiten zukommen lassen.

Wo Ei- und Samenzellen im Spiel sind, wachsen die Kombinationsmöglichkeiten für genetische Varianten ins Unermessliche. Doch welcher evolutionsbiologische Vorteil ist mit solcher Experimentierfreude verbunden? Vor etlichen Jahren formulierte der britische Zoologe William Donald Hamilton die Hypothese, dass sich Sex vor allem im Kampf gegen Infektionskrankheiten auszahlt. Im Zeitalter von Aids klingt das zwar wie ein schlechter Witz, auf den zweiten Blick aber ist es durchaus plausibel. Denn sexuelle Fortpflanzung bedeutet, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Unterschiedlich ausgestattet, zeigt sich der eine oder andere Nachkomme womöglich gewappnet, wenn neuartige Krankheitserreger auftauchen. In einer Umwelt, die sich laufend verändert, sind Krankheiten allerdings nicht die einzigen Herausforderungen, die es mit entsprechendem genetischem Rüstzeug zu meistern gilt.

Viele Pflanzen, aber auch Nesseltiere, Blattläuse und Wasserflöhe fahren bei der Fortpflanzung mehrgleisig. Neben dem aufwendigen Modell mit zwei Geschlechtern nutzen sie auch simplere Methoden, die minder abwechslungsreichen Nachwuchs liefern. Bei einem Großteil der Fauna, Maus und Mensch eingeschlossen, ist die Produktion von Nachwuchs dagegen stets mit Sex verbunden - oder mit einer Befruchtung im Reagenzglas. Dass sich diese Koppelung selbst mit den Tricks der Reproduktionsbiologie nicht so leicht aushebeln lässt, zeigen die mageren Erfolgsraten beim Klonen von Säugetieren. Was auf der molekularen Ebene hinter einschlägigen Schwierigkeiten steckt, wird in diesem Buch ebenso erörtert wie die molekularbiologischen Wurzeln des Geschlechterkampfs.

Wenngleich fern jeder Erotik, weckt der entwicklungsgeschichtliche Hintergrund des Liebeslebens durchaus Emotionen, was eine spannende Lektüre verspricht. Bisweilen neigt der Autor jedoch zu missverständlichen Formulierungen: ¸¸Bei Vögeln wie dem Truthahn und Fischen wie dem Lachs gelang es, jungfräuliche Arten zu züchten." Gemeint sind wohl einzelne Fälle von geglückter Parthenogenese; bei den Lachsen bleiben sie ebenso rar wie bei Puten. Außerdem sind die Sprösslinge, die sich hin und wieder aus unbefruchteten Vogeleiern entwickeln, ohnehin stets männlich.

Zugegeben, derartige Schnitzer unterlaufen Göldenboog nur selten. Im allgemeinen zeigt er sich höchst belesen. Obwohl er einen betont lockeren Plauderton anschlägt, überschwemmt er seine Leser nicht selten mit einer Flut von Details - inklusive des zugehörigen Fachjargons. Nicht nur in seinen Interviews mit prominenten Wissenschaftlern, aus denen er gerne ausführlich zitiert, findet sich manch schwer verdauliche Passage.

Wenn der Autor an passender Stelle anmerkt ¸¸Beim Versuch, Meiose zu verstehen, kann man verzweifeln. Jedes Lehrbuch der Biologie erklärt das irgendwie auf eine andere Art und Weise. Man wird konfus", dann wird er wohl Zustimmung ernten. Wie Ei- und Samenzellen entstehen, ist tatsächlich verwirrend kompliziert. Schließlich muss das genetische Inventar nicht nur gleichmäßig aufgeteilt, sondern auch neu gemischt werden. Die gängigen Lehrbücher bemühen sich immerhin, diese Zellteilungsprozesse durch mehr oder minder gelungene Illustrationen zu veranschaulichen. Göldenboog verzichtet dagegen konsequent auf jede bildliche Darstellung. So wird die Vorstellungskraft mitunter arg strapaziert - schade eigentlich.

CHRISTIAN GÖLDENBOOG: Wozu Sex? Von der Evolution der zwei Geschlechter. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2006, 239 Seiten, 19,90 Euro.


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