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Das Loch im Walfisch  - Die Philosophie der Biologie

Wissenschaftsphilosophie light

Dr. Thomas P. Weber, Spektrumdirekt - Die Wissenschaftszeitung im Internet, 29.02.2004

Die Wissenschaftsphilosophie hat in den vergangenen drei Jahrzehnten einen entscheidenden Wandel durchgemacht. Nur noch wenige Philosophen zeigen Interesse an abstrakten Theorien und angeblich universell gültigen Naturgesetzen. Stattdessen stehen Einzelwissenschaften mit ihren eigenen Erklärungsweisen und Modellen im Vordergrund. Diese Entwicklung wurde nicht unwesentlich von Debatten um den wissenschaftlichen Status der Evolutionsbiologie begünstigt, die sich als respektable Wissenschaft etablieren konnte, aber nie mit einer Physiker zufriedenstellenden Abstraktion, Vereinheitlichung und allgemein gültigen Gesetzen aufwarten konnte. Einige einflußreiche Schulen der Philosophie haben aus dieser Entwicklung gelernt und sich schon lange und unwiderruflich von der Vorstellung der Einheit der Wissenschaften verabschiedet. Christian Göldenboog versucht im Dialog mit bedeutenden Wissenschaftlern darzustellen, wie das Denken über Wahrheit, Naturgesetze und Erkenntnis von der Betrachtung der belebten Natur profitiert hat. "Das Loch im Walfisch" ist immens lesefreundlich, offenbart bedauerlicherweise aber tief gehende inhaltliche Schwächen.

Schon der Ausgangspunkt von Göldenboogs Ausführungen ist fragwürdig. Ob die Physik im späten 19. und im 20. Jahrhundert je den Status einer so genannten Leitwissenschaft hatte ist mehr als fraglich. Nur innerhalb eines kleinen Zirkels analytischer Philosophen genoss die Physik nahezu unanfechtbare Hochachtung. Andere bedeutende philosophische Denkschulen, wie beispielsweise die Phänomenologie, hatten mit der Physik schon immer vergleichsweise wenig am Hut und sind trotzdem für die Wissenschaften, beispielsweise die Kognitionswissenschaften, bedeutsam geworden. Auch die Kosmologie hat sich nie auf die Physik reduzieren lassen; seit dem 17. Jahrhundert spielen in der Kosmologie Betrachtungen über die Rolle von Leben im Weltall eine zentrale Rolle. Diese Spekulationen wurden zuerst von der Theologie und der antiken Philosophie des Atomismus, später fast ausschließlich vom Darwinismus inspiriert. Ein fragwürdiger Ausgangspunkt führt Göldenboog jedoch zu einer korrekten Schlußfolgerung: die Biologie bietet einen Blick auf Naturphänomene, der immense philosophische Implikationen haben kann. Auf eine völlig andere Weise als die Physik stellt die Biologie Fragen nach dem Aufbau der belebten Welt und nach unserer Fähigkeit, oft historisch bedingte Wirkmechanismen in der Natur zu verstehen.

Göldenboog vermag dann aber doch zu enttäuschen: der Leser sucht vergeblich nach Reflexion und kritischer Hinterfragung der vorgestellten Positionen. Seine Gesprächspartner dürfen ohne kritische Widerworte ihre Standpunkte vorbringen. John Maynard Smith ist zweifellos einer der bedeutsamsten und einflussreichsten Gestalten der modernen Evolutionsbiologie, aber seine Ausführungen über den Informationsbegriff in der Biologie sind trotzdem äusserst fragwürdig. Im Gespräch mit dem Ameisenforscher Bert Hölldobler wird jeglicher kritischen Auseinandersetzung mit der Soziobiologie aus dem Weg gegangen. Die Verwandtenauslese mag eine angemessene Erklärung für die Sozialität von Ameisen und anderen Hautflüglern sein, aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die Gruppenauslese - ein wirklich böses Wort für viele radikale Soziobiologen - bei der Evolution der Sozialität bei Primaten und Menschen eine entscheidende Rolle gespielt haben könnte. Eine Philosophie muss sich genau diesen umstrittenen Fragen stellen und darf sich nicht in einer Hofberichterstattung erschöpfen.

Wer nicht nur unterhaltsame Lektüre, sondern eine lesbare und gleichzeitig kritisch-reflexive Einführung in die Philosophie der Biologie (was meist Evolutionsbiologie bedeutet) und ihrer Erklärungsmodelle sucht, sollte Göldenboogs Buch meiden. Deutschsprachige Bücher bewegen sich leider entweder in der dünnen Luft der hohen Abstraktion, wie beispielsweise Martin Mahners und Mario Bunges "Philosophische Grundlagen der Biologie" (Springer), oder auf der Ebene der Trivialität. Bedauerlicherweise nur auf Englisch erhältlich ist Kim Sterelnys und Paul Griffiths' "Sex and Death" (University of Chicago Press), eine hervorragende, jargonfreie Einführung in die Philosophie der Biologie.

Dr. Thomas P. Weber,  Wissenschaftler am Institut für Tierökologie der Universität Lund (Schweden) und Buchautor


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