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Wozu Sex? 

Das Buch beginnt mit einem furiosen Vorspiel

Michael Lange, WDR 5, 20.10.2006

Zitator: Warum gibt es Sex? Um die Einschaltquoten im Fernsehen zu erhöhen, um sich zu amüsieren, um sich zu vermehren? 

Michael Lange: Schnell wird klar: Sex gehört zur Natur - zur tierischen genauso wie zur menschlichen. 

Zitator: Ohne Sex kein Sexualleben und kein Morgen danach, keine Romeos und Julias, keine Diskussionen über Homosexualität und keine technischen Innovationen wie das Wasserbett. Außerdem ist Sex, wie Henry Miller in Sexus schrieb, „einer der neun Gründe für Reinkarnation. Die anderen acht sind uninteressant.“ 

Michael Lange: Die Basis fur ein interessantes Buch ist also gelegt . Aber Vorsicht! Es wird anspruchsvoll, denn das Buch des Nichtbiologen Christian Göldenboog steigt tief ein in die Abgründe der Evolutionstheorie. Denn hier liegt der Schlüssel, warum wir uns bis heute mit dem Sex herumschlagen müssen. 

Zitator: Warum wurde dieses Meisterwerk vor gut einer Milliarde Jahren von Mutter Natur überhaupt in die Welt gesetzt? Warum existieren Neurosen, Missionarsstellungen und Simultanzwitter, Väter und Mütter,  X- und Y-Chromosomen? Warum die ganze Aufregung? 

Michael Lange: In der Tat braucht die Natur zur Fortpflanzung keinen Sex. Die Vermehrung der Individuen, die Erhaltung der Art,die Verbreitung der Erbanlagen und auch die natürliche Evolution nach den Gesetzen von Mutation und Selektion …. Das alles funktioniert auch ohne zwei Geschlechter, ohne Sex. Dennoch hält die Natur verbissen am Konzept der Sexualität feit. Sie verschmilzt weibliche und männliche Zellen zu einem neuen Lebewesen. 

Zitator: Das Verschmelzen von genetischer Information zweier Vorfahren in einem einzigen Nachkommen ist bei mehrzelligen Lebewesen wie Pflanzen, Fruchtfliegen, Beutelmäusen oder dem Homo Sapiens das wesentliche Merkmal von Sex. 

Michael Lange: Aber wozu Sex? Eine These erscheint überzeugend: Sexuelle Fortpflanzung fördert die ständige Durchmischung der Gene innerhalb einer Art. So sie die Anpassungsfähigkeit der Art. Vor allem für langlebige Organismen kann das überlebenswichtig sein. Sie entwickeln durch Sex eine große Vielfalt mit den verschiedensten Gen-Kombinationen. So kann eine Art überleben, auch wenn die Umwelt sich schnell verändert. Denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass einige der vorhandenen Gen-Kombinationen das Leben in der veränderten Umwelt erleichtern. Kuzlebige Organismen kommen hingegen ganz gut ohne Sex aus. Denn bei ihnen laufen Mutation und Selektion viel schneller ab. Dennoch haben auch einfachste Bakterien so etwas ähnliches wie Sex. 

Zitator: Erstaunlicherweise gab es sexuelle Prozesse schon bevor sich Päpste, Götter, Evolutionsbiologen, Kommunarden und Ethikbeauftragte die Köpfe über Sexualität zerbrachen: Bakterien, die die ersten zwei Milliarden Jahre des Lebens auf der Erde unter sich waren, vereinigen sich ständig und tauschen dabei Gene aus, ohne allerdings dabei zu verschmelzen. 

Michael Lange: Jede Antwort wirft neue Fragen auf. Deshalb hat sich Christian Göldenboog nicht auf das Sammeln von Informationen beschränkt. Er hat bei renommierten Fachleuten nachgefragt. In Gesprächen mit dem Evolutionsbiologen John Maynard Smith und dem Populationsgenetiker Luca Cavalli-Sforza dringt er tief ein in die wissenschaftliche Diskussion. Die Gespräche mit den Experten sind teilweise wortwörtlich h wiedergegeben und nicht immer leicht zu verstehen. Das Durcheinander verschiedener Argumente wächst lm Laufe der Lektüre. Zum Glück sorgt Christian Göldenboog zwischendurch mit lockeren Bemerkungen immer wieder für Entspannung.

Zitator: Wir sind im Sex gefangen, aber die dafür verantwortlichen männlichen und weiblichen Gene verfolgen eigene lnteressen. Sex ist ein genetischer Geschlechterkampf mit weitreichenden praktischen Konsequenzen. So sollten sich romantisch veranlagte Menschen vor der Illusion hüten, nach der alle Gene harmonisch zusammenarbeiten, um ein gesundes Kind zu produzieren. ,,Krieg im Mutterleib" oder „Konflikte um die Plazenta“ lauten seit einiger Zeit die Schlagwörter, mit denen Genetiker die Vorgänge während einer Schwangerschaft umschreiben' 

Michael Lange: Je stärker Christian Göldenboog in die Einzelheiten der genetischen Zweigeschlechtlichkeit einsteigt, um so schwerer fällt es dem Leser, den Überblick zu behalten, was die These vom Anfang des Buches bestätigt: Sex ist kompliziert. Einfacher ware es ohne Sex, aber der Welt würde etwas fehlen. 

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